Überall Ordnungen: Einordnung, Zuordnung, Unterordnung. Odile Kennels Band „Irgendetwas dazwischen“ ist ein Plädoyer für die Unordnung. Im Fokus steht der Austragungsort so vieler Ordnungsversuche: der Körper. Eins ist in Kennels Gedichten klar: Der Körper lässt sich nicht säuberlich zusammenfalten und in Identitätsschubladen stecken. Es geht den Gedichten um Ausfaltung, um Entfaltung – und den vermeintlichen Ordnungsapparat schlechthin: Sprache. Kennels Gedichte sind dabei immer unbedingt sinnlich, bewegen sich über Sprachen hinweg, kosten die Vielfalt der Möglichkeiten aus, die sich ihr bieten – spielerisch, ironisch, verzweifelt. Jedes Gedicht zeigt: Erst im Zusammenspiel entsteht etwas, das nicht nur denkbar und benennbar, sondern vor allem eines ist: lebbar.
Odile Kennel Libri






»Ich hätte nicht öffnen sollen. Hätte tun sollen, als sei ich nicht zuhause.« Nominiert für den Alfred-Döblin-Preis Es klingelt, doch sie kennt hier niemanden. Vor der Tür steht ein fremder junger Mann, er nennt sich Alexander Vogler und behauptet, Béatrice sei mit seiner Mutter Helga befreundet gewesen. Béatrice ist gerade beim Auspacken, sie ist umgezogen, von der Stadt in eine alte Mühle an einem See. Was weiß dieser Mann von ihrem Leben? Er aber möchte wissen, warum seine Mutter Anfang 1977 für drei Jahre spurlos verschwand. Béatrice kann sich an nichts erinnern, beginnt aber bald zu zweifeln: Ist Helga vielleicht Hah, in die sie uneingestanden verliebt war? Musste Hah als Sympathisantin in jenen hochpolitisierten Jahren untertauchen? Das Porträt einer Frau, in deren Leben die Geschichte der Bundesrepublik aufscheint, ein Roman über die Unsicherheit der Erinnerung, über die Rückkehr in die Provinz. Ein Buch, das die Frage aufwirft, wie wir uns der eigenen Geschichte stellen.
Ein Gang durch eine Stadt bei Schnee, einen Laib Brot am Leib; nach wenigen Schritten schon bröckelt der sichere Rahmen der Sprache: Das „K“ des Kalauers, des puckernden Muskels verwandelt die Worte anderer Sprachen in Kör Kurassau Kuore. Von Leibeigenschaft ist die Rede – schließlich beginnt das Wort Körper mit „K“. Das Alphabet aber / gibt Laut, raunt, barmt, zetert, / stöhnt, rutscht im Mund herum, schlüpft / unter die Zunge, das Alphabet / braucht Raum, breitet sich aus / auf der Haut. Die Sprache in Hors Texte lässt sich nicht bändigen, wird zum begehrenden Körper, der sich das Gegenüber einverleibt: Das Du/weiß um seine Stellung. Das Ich fächert sich auf, fällt in die Spalte/zwischen zwei Körpern, zwei/Wörtern, die Körper sind, sucht nach einer neuen Sprache, bafouilliert, baragouiniert, schwankt, schwächelt. Hält sich fest an greifbaren Dingen wie Minigolf, Grillanzünder und Tintenfischbeine, und an nicht ganz so greifbaren Dingen wie Sex und Saft und Sauerei. Vielsprachig, sprachverspielt, humorvoll sind diese Texte, als ließe sich Sprache in ihrer Vervielfachung überhaupt erst fassen. Als wären Sprachspiel und Humor ein rettendes Netz, wenn alle Gewissheiten sich verflüchtigt haben.
»Wir halten Gleichgewicht in abenteuerlichen Posen. Taumeln.« Das Klirren des Glascontainers, eine nächtliche Fahrt mit der Straßenbahn, ein Schuh, ein Wecker, ein Giebel – in Odile Kennels Gedichten sind es die alltäglichen Ereignisse und Dinge, in denen die Erfahrung von Transzendenz aufblitzt, »für einen Moment, und nur weil wir es wollen«. In einer Mischung aus Reflexion und Staunen erkundet Odile Kennel unsere Existenz, scheut Themen wie Liebe und Sterben nicht, lässt aber auch Taschendiebe oder Meteorologen zur Sprache kommen. Ihre Gedichte, mal erzählend, mal sprachverspielt, immer getrieben von Rhythmus und Klang, eröffnen einen überraschenden, frischen Blick auf unsere Gegenwart. Inhalt: nur weil die Tür offen steht & dann fing ich noch einmal mit der Zeile an niemand ist ganz und gar jemand ausgefranstes Etwas Fall für den Vogel Salbei denken crochê im Regen nichts Konkretes, sie sagte irgendetwas von Schnee die Flüchtigkeit des Steins die Flüchtigkeit des Steins Landgang der Stadt im Sommer frühmorgens nicht: nicht genug wo das Glück lagert Flächennutznungsplan des Fremdseins nicht aussteigen müssen in Hildesheim anderswo wohnen WeinresümeeWienrésumé nicht aussteigen müssen in Hildesheim Landschaft mit Hitze und Mohn weitere Linie einzige Reise von nicht zu bestimmender Beschaffenheit Birken: Erstlichtverstärker abends: die Dörfer quatorze juillet à Hauteville sechster November am Weststrand zum Glück kam der Nebel wie wir den Ton halten (h wie) Befund kalt, sage ich wann damals beginnt der Einfluss des Todes auf die Grammatik gemeiner Natternkopf Schlaflied letzter Aufenthalt nach dem Piepton was ich dir nicht erzählt habe: oder wie heißt diese interplanetare Luft überwintern in Echtzeit irgendetwas mit Querstreben seltene Erde fröhliches Gedicht si j'avais un marteau ihre in Beitrittsgebieten zurückgelegten Zeiten alors on peut bien partier que l'homme s'effacerait denken Sie auch an Taschendiebe Fragen zu Tieren Tiere zu Fragen Fragen zum Auerhuhn (vom Aussterben bedrohte Tiere I) die Kühe sind schuld (vom Aussterben bedrohte Tiere II) auch Dinosaurier werfen in erster Linie Fragen auf (Ausgestorbene Tiere I) Rhapsodie für den Waldrapp (Ausgestorbene Tiere II. Vom Aussterben bedrohte Tiere III) Versuche gescheiterten Probeklingelns ich gehe noch immer früh schlafen glückliche Quellenpflege keine Produkte mit Zusatznutzen un peu de grand air irgendetwas von hyperreal, sagte sie Apocalypso, jetzt Ode auf Quisquilien mit garantiertem Wohlfühleffekt Ode auf Quisquilien Mittel gegen die übertriebene Größe des Himmels Meteorologen sprechen vom Wetter, nicht vom Licht große Anatomie für eine Geliebte einmal so richtig daneben haun kleine Studie über meine Hand
Drei Frauen, zwei Länder, die Geschichte einer Familie Ende der Achtzigerjahre lebt Louise in Berlin, aufgewachsen ist sie in der Normandie. Als sie unerwartet auf Ida trifft, eine ihr unbekannte Großcousine, erfährt sie, was ihr bislang verschwiegen wurde: Während die Deutschen Frankreich besetzten, verliebte sich ihre Mutter Paulette in Franz, einen Wehrmachtssoldaten – ein Skandal in Frankreich und für die Familie. Ida verschaffte Paulette ein Alibi für die heimlichen Treffen. Doch Idas Lebensgeschichte birgt noch weit mehr Geheimnisse ...
"Wimpernflug" ist die Geschichte der neunjährigen Cecile, die in Deutschland zweisprachig aufwächst. Für alle Dinge gibt es zwei Worte, ein französisches und ein deutsches. Es ist gar nicht so einfach, bei diesem Wort- und Gefühlsgewirre den Überblick zu behalten und bei sich zu bleiben. Aber Frankreich und Deutschland liegen doch so nah beieinander! Cecile sieht das anders. warum gibt es bei der Begrüßung in Deutschland kein bise, sondern nur einen Händedruck und warum ist eine deutsche Gemüsesuppe keine soup aux legumes, wie ihre Mutter sie macht? Auf Worte ist eben kein Verlass!§Schnell muss man sein, um zwischen zwei Sprachen hin und her zu springen, schnell auch, um mit dem Wirbel der Worte mitzuhalten und sich nicht darin zu verlieren. Atemlos ist deshalb auch das Mädchen, das seine Geschichte erzählt.