Aurora, das Jahrbuch der Eichendorff-Gesellschaft erschien als Fortsetzung des Almanachs Aurora (1929-1943) nach dem Kriege erstmals wieder 1953. Seitdem ist das Jahrbuch durch eine zunehmende Öffnung gegenüber dem kulturgeschichtlichen Umfeld von Eichendorffs Leben und Werk und seinen umfangreichen Rezensionsteil zu einem der führenden Publikationsorte und Referateorgane zur klassisch-romantischen Zeit geworden. In jedem Jahrgang findet sich zudem eine Jahresbibliographie zu Eichendorff. Publikationssprache ist Deutsch.
Wie kulturelles Denken entsteht und wieder zu verschwinden droht
Die Geschichte der Kultur ist ein Vorgang, der erst in der Aufklärung zu sich selbst kommt. Denn erst damals gelangt zum Bewusstsein, dass „Kultur“ den deutlichen Unterschied gegenüber „Natur“ markiert und in dieser Hinsicht die Begründung einer zur „Würde“ animierten Menschlichkeit bedeutet. Auch wenn der Begriff Kultur sich zunächst festigt und besonders im deutschsprachigen Bereich von dem ähnlich gearteten Begriff Zivilisation abgrenzt, widerfährt ihm in der neuesten Zeit ein grundlegender Wandel, der seine Geltung beeinträchtigt: Zum einen durch die autoritär wirkende digitale Computerideologie, zum anderen durch die den menschlichen Willen ebenfalls beeinträchtigende Pandemie. Beides stellt den Menschen vor die Frage, ob und wie er kulturell weiterexistieren kann.
Stoff und Form sind Grundbegriffe der Ästhetik, die in diesem Buch am Beispiel
von Drama und Theater behandelt werden. Vorgenommen wird zunächst eine
allgemeine Begriffsbestimmung, die von Aristoteles bis Schiller reicht und
zeigt, in welchem Verhältnis die beiden Begriffe zueinander stehen und was es
heißt, dass ein Werk der Kunst Form ist, die sich aus Stoff entwickelt, und
dass umgekehrt auch Form wieder zu Stoff werden kann. Die Anwendung der
Begriffe auf die dramatische Wortkunst und die theatrale Spielkunst klärt
nicht nur, was in dem einen wie dem anderen Fach jeweils als Stoff und Form
angesehen werden kann, sondern auch, dass Drama und Theater sich stofflich und
formal in einem Wechselverhältnis zueinander befinden. Ist das Drama eine
Kunstform, die sich erst durch die Aufführung auf der Bühne vollendet, so
dient das Theater mit seinen vielfältigen Mitteln, zu denen in erster Linie
der Schauspieler gehört, ihm als Stoff. Versteht das Theater sich seinerseits
als Kunst, so sind ihm seine Mittel einschließlich des dramatischen Textes
Stoff für den eigenen formalen Zweck. Es ist zumal ein Charakteristikum des
sogenannten Regietheaters, mit dem Text so umzugehen, als wäre er nichts als
Material für die Inszenierung. Generell ist aber dem Theater das Recht
zuzugestehen, nach dem eigenen Kunstwillen zu verfahren. Das Buch behandelt im
letzten Teil die Bedeutung, die beim Theater der Wahrnehmung (Aisthesis)
zukommt. Auch diese ist eine auf stofflichen Elementen beruhende Formkraft,
die zumal beim Zuschauer zur Geltung gelangt.
Warten und Erwartung: Zwei Begriffe, die – wie Lothar Pikulik herausarbeitet – keineswegs bedeutungsgleich sind: Warten ist passives Verharren im Noch-Nicht, Erwartung ist zielgerichtetes, aktives Streben nach dem Zukünftigen. Erwartung kann hoffnungsfroh oder bangend auf die Zukunft gerichtet sein, sie kann andererseits auch wehmütig dem Vergangenen nachtrauern: In jedem Fall relativiert eine (ab)wartende Grundhaltung das konkrete Interesse des Wartenden an der Gegenwart; unmittelbare Handlungsoptionen werden zugunsten einer noch ungewissen Aktivität in späteren Zeiten zurückgestellt. Lothar Pikulik vertritt die These, dass existenzielles Dauer-Warten prägend für das Lebensgefühl in historischen End- und Übergangszeiten ist. Zahlreiche Beispiele aus Literatur und Kunst belegen eindrucksvoll die unterschiedlich ausgeformten Erwartungshaltungen im Christentum, in der Aufklärung, in der Romantik, im Fin de siècle, in Exilantenkreisen der 40er Jahre, in der Gegenwart. Für die Moderne wird leeres Warten, eine Krise der Erwartung, diagnostiziert, andererseits ein »Als-ob« des Wartens bei Autoren wie Kafka, Beckett, Botho Strauss.
Zeitkritik und Menschenbild des jüdisch-österreichischen Schriftstellers Joseph Roth
139pagine
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Fremdsein in der Welt ist für den österreichischen Juden Joseph Roth (1894–1939) ein Schicksal, das aus Krieg und Terror, Verfolgung und Flucht erwächst. Die Erfahrung des Ersten Weltkriegs und der Nachkriegszeit (die bereits auf den Zweiten Weltkrieg zusteuert) beraubt ihn der Hoffnung auf eine bessere Welt und lässt ihn zum ruhelosen Wanderer, aber auch zum Kritiker seiner Zeit werden. Als Journalist wie als Poet deutet er die Zustände der Wirklichkeit zwischen den beiden Weltkriegen als Auswüchse von Rassismus und Nationalismus, von falschem Optimismus und der 'Tyrannei des Fortschritts'. Was den Autor im Kontext des öffentlichen Geschehens aber in erster Linie interessiert, ist der Blick auf den privaten Menschen, wie er sich sowohl in den Mächtigen als auch in den Underdogs dieser Welt offenbart. Und wenn die Großen stürzen, Macht in Ohnmacht umschlägt, die Schwachen den Starken den Rang ablaufen, dann spiegelt sich in diesem Bild der alttestamentarische Hiob, der für Roth das entscheidende Paradigma des Erdensdaseins ist. Der renommierte Germanist Lothar Pikulik nimmt Joseph Roths vielfältiges Werk, darunter auch bislang weitgehend unbeachtete Texte, neu in den Blick und dokumentiert auf diese Weise die unverminderte Aktualität der zeitkritischen Diagnosen des Österreichers.
Kultur ist eine Verfassung des Menschen, die sich im Zuge seiner Entfremdung von der Natur bildet. Bedeutet sie aus der Perspektive seines natürlichen Ursprungs einen Verlust (an Unmittelbarkeit, Harmonie mit der Umwelt), so ist sie aus dem Blickwinkel seiner Entwicklung zu einem Wesen, das seine Welt vernunftgemäß zu gestalten weiß, ein Gewinn. Ebenso kommt die Entwicklung des Menschen zur Kultur seinem Wandel zur geschichtlichen Existenz gleich. Die Natur ist vergleichsweise ahistorisch. Und wenn der Übergang zur Kultur und der Übergang zur Geschichte zusammenfallen, so heißt das: Alle Kultur ist geschichtlich bestimmt, alle Geschichte ist kulturell geprägt. Dabei muss Kultur sich von Beginn an und auf die Dauer mit einem Widersacher auseinandersetzen. Es ist dies die destruktive Kraft, die sich als Barbarei geltend macht, zum einen als offene Gewalt wie in Krieg und Terror, zum anderen in den verschiedenen Masken, die ihr täuschenderweise ein mitunter sogar biederes Ansehen verleihen, wie Nationalismus, Rassismus, jede Art von Fremdenfeindlichkeit. Diese Studie versteht sich als flankierendes Gegenstück zum zuvor erschienenen Buch desselben Verfassers, Natur und die westliche Zivilisation. Literarische Kritik und Kompensation einer Entfremdung (2016).
The development of Western civilization is marked by an increasing alienation from nature, first recognized during the Enlightenment by writers like Rousseau and Schiller, who critically addressed the resulting dichotomy. A symptom of this crisis is a paradoxical poetic enthusiasm for nature, which yearns for its subject while remaining inwardly distant. Schiller noted that our feelings for nature resemble a sick person's longing for health. While literary depictions of nature compensate for its absence in reality, they extend beyond the visible world. If civilization represents daytime, nature encompasses the nocturnal aspects of life, including hidden powers of the psyche. In the German-speaking world, resistance to civilization is framed in terms of "Kultur." Despite the complexities of this reference, particularly regarding Eros and violence, the pursuit of nature since the 18th century has been linked to cultural recognition, evaluated aesthetically, while civilizing actions are often reduced to concepts of craft, technology, utility, and societal structures. This modern split between the humanities and natural sciences largely stems from this dichotomy. Lothar Pikulik, born in 1936, was a professor of Modern German Literary Studies at the University of Trier from 1973 until his retirement, and he authored numerous works on literature and intellectual history.
Den Menschen des Altertums und des Mittelalters war die Erkundung unbekannter Regionen fremd, da weltanschauliche und religiöse Vorbehalte sie einschränkten. Erst mit der Neuzeit und der Epoche der Entdeckungen erwachte die ungehemmte Neugier, die Grenzen des Bekannten zu überschreiten. Diese Neugier förderte sowohl Forschungs- als auch Kolonisationsinteressen. Im Streben nach Neuem und zur Flucht vor der Langeweile des Alltags entstand eine Gesellschaft, die Mobilität in räumlicher, zeitlicher und geistig-seelischer Hinsicht praktiziert. Es werden keine Wagnisse gescheut, und das Reisen in der Moderne dient sowohl der Selbst- als auch der Welterkundung. Die Studie basiert auf einer exemplarischen Auswahl authentischer und fiktiver Reisedarstellungen und -reflexionen. Dabei wird deutlich, dass Reisen in der modernen, mobilen Gesellschaft ein Massenphänomen geworden ist, obwohl die Erde inzwischen vollständig erkundet ist. Die behandelten Autoren reichen von Adam Olearius und Johann Georg Gmelin bis hin zu Alexander von Humboldt und Thomas Mann. Lothar Pikulik, geboren 1936, war Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Trier und hat zahlreiche Monographien zur Literatur und Geistesgeschichte veröffentlicht.
Das Schöne gefällt, das Interessante reizt. Wenn das Schöne interessant ist, übt es einen besonderen Reiz aus. Interessant kann jedoch auch das Hässliche, Schreckliche und Leidvolle sein. Der Begriff „interessant“ stammt vom lateinischen „interesse“ und hat sich in der Moderne zu einer Wertbestimmung entwickelt, die darüber entscheidet, was Individuen oder Kollektive als wesentlich erachten. Diese Entwicklung verändert die Ästhetik: Im 18. Jahrhundert tritt das Interessante in Konkurrenz zum Schönen, das für Kant noch als interesseloses Wohlgefallen galt. Es beeinflusst auch die Auffassung von Schönheit als Form des Daseins und Objekt des Begehrens. Die Grenze zwischen Kunst und Leben verschwimmt, und Kierkegaard erkennt den Unterschied zwischen „ästhetischem Leben“ und „ethischem Leben“. Das Interessante hat ein ambivalentes Verhältnis zur Ethik, da es sich unabhängig von moralischen Überlegungen entfaltet. Anhand von philosophischen und literarischen Texten von Kant, Schiller, Schopenhauer, Oscar Wilde und anderen wird aufgezeigt, wie das Interessante zu einer Schlüsselkategorie der Moderne wurde. Lothar Pikulik, Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft, hat zahlreiche Werke zur Literatur und Geistesgeschichte verfasst.
Thomas Manns Auseinandersetzung mit dem Faschismus im Allgemeinen und dem Nationalsozialismus im Besonderen beruht sowohl auf zeitgeschichtlicher Erfahrung wie auf psychologisch durchschauender Erkenntnis und führt bei ihm zu entschiedenem Widerstand. Er nimmt frühzeitig wahr, wie die Barbarei der neuen, aber regressiven Bewegung deutsche Kultur und Gesittung verhunzt, erkennt aber andererseits, dass das Unheil in der dezidiert unpolitischen Mentalität und Geistesgeschichte der Deutschen wurzelt. Sich selber zu seinem Deutschtum bekennend, empfindet er sich freilich mitverantwortlich für die nationale Katastrophe. Sein Widerstand erwächst mithin ebenso aus gewissenhafter Selbstprüfung wie aus Abscheu und Hass. Gegen die Identifizierung des Nationalsozialismus mit Deutschland sträubt er sich zunächst, ohne doch zuletzt die Unterscheidung zwischen beiden Seiten aufrechterhalten zu können. Gegenstand seiner Kritik sind besonders die vielen deutschen Intellektuellen, die der faschistischen Ideologie verfielen und denen er „Selbstverrat des Geistes“ zugunsten eines als rauschhaft verstandenen Lebens vorwirft. Die Gründe hierfür fand er allerdings auch in sich selbst. Der Studie liegt das Gesamtwerk Thomas Manns zugrunde: erzählende Dichtungen, Essays, Briefe, Tagebücher.