Franziska Frei Gerlach Libri




Feministische Theorie und literarische Texte von Frauen werden in diesem Band auf eine Weise verknüpft, daß sich Theorie und Literatur gegenseitig erhellen. In einem ersten, theoretischen Teil werden die begrifflichen und konzeptionellen Grundlagen erarbeitet, nach denen sich die literarischen Lektüren des zweiten Teils ausrichten. Die Theoriediskussion bietet dabei gleichzeitig eine differenzierte Einführung in den aktuellen Stand des feministischen Diskurses, von Cixous und Irigaray über Julia Kristeva bis hin zu Judith Butler. Die Lektüren von Texten Marlen Haushofers, Ingeborg Bachmanns und Anne Dudens im zweiten Teil widmen sich den Machtwirkungen kultureller Ordnungen und machen als grundlegendes Ordnungsmuster die Konstruktion der Geschlechter lesbar. Thema sind insbesondere Verfahren der Versicherung respektive Verunsicherung von Identität, der doppelte Ort des Weiblichen, das Gedächtnis des Anderen sowie eine Diskussion von Täter- und Opferkategorien.
Zum ersten Mal wird die Frage nach der symbolischen Valenz von Geschwisterlichkeit um 1800 gestellt und auf einer breiten kulturhistorischen Basis beantwortet. Geschwister sind um 1800 von hoher symbolischer, gesellschaftlicher und individualpsychologischer Relevanz. Dies schlägt sich nieder in Beziehungsdynamiken, Gefühlsmodellierungen und Identitätszuweisungen. Dabei wird ein Netzwerk horizontaler Beziehungen sichtbar, das mit Foucault 'Dispositiv' genannt werden kann. Grundlage für die These der Formierung eines Geschwisterdispositivs um 1800 sind die in der historischen Semantik des Geschwisterbegriffs selbst angelegten Schnittstellen zwischen leiblicher Verwandtschaft, institutionellen Organisationen und Figuren des kulturellen Imaginären. Lesbar wird diese geschwisterliche Strukturierung von Welt in der Literatur. In minutiösen Neulektüren von Jean Paul sowie Jacobi, Goethe, Schiller und Novalis wird evident, wie literarische Texte vielfältige Geschwisterstrukturen etablieren, bisweilen verblüffende Kontexte über Sache und Begriff des Geschwisters verknüpfen und so auf einer horizontalen Ebene verhandeln. Die vorliegende Studie legt damit die Basis für einen Perspektivenwechsel in der Kulturgeschichte sozialer Beziehungen.