Die Untersuchung beleuchtet Hans Henny Jahnns Romantrilogie 'Fluß ohne Ufer' sowie verschiedene Interpretationen. Erstmals wird das Verhältnis zwischen Lesern und Deutern des Textes analysiert, um die verzerrenden Auswirkungen von Leserprojektionen auf das öffentliche Bild eines Autors aufzuzeigen. Diese Projektionen werden im Kontext einer umfassenden Analyse des Primärtextes und der Intentionen des Autors sichtbar. Es werden zahlreiche neue Forschungsergebnisse präsentiert. Insbesondere wird ein zentraler Subtext und zahlreiche intertextuelle Bezüge untersucht, die darauf hindeuten, dass Jahnn den Ich-Erzähler und Protagonisten Gustav Anias Horn als Sexualstraftäter nach dem Vorbild des Serienmörders Gilles de Rais konzipierte. Diese Erkenntnisse werfen ein neues Licht auf 'Fluß ohne Ufer' und Jahnns Gesamtwerk. Es wird deutlich, dass zentrale Motive des Romans, die einen kriminellen und unzuverlässigen Erzähler offenbaren, bisher vorwiegend im Kontext der Biografie und mutmaßlichen psychischen Dispositionen des Autors interpretiert wurden. Jahnn selbst äußerte 1948, dass es keinen Schutz gegen Missverständnisse oder Verleumdungen gibt und dass unser Streben nach einem lebenswerten Leben letztlich sichtbar bleibt, während die Auslegung den anderen obliegt.
Nanna Hucke Libri
