Berührungen
Kleine Prosa






Kleine Prosa
Literarische Collage
Ein japanischer Tourist macht unter der Skulptur von Mario Merz «Das philosophische Ei» vor dem Abflug nach Hause ein Foto von seiner Frau. Sechs Figuren werden im Gedränge der Bahnhofhalle darauf mitabgebildet. Es ist Morgen. Die Autorin folgt den Figuren durch den Tag, schlüpfe in ihr Bewusstsein, in ihre unterschiedlichen Welten. Sechs Geschichten, bis zum Abend. Diesen nebligen Frühherbst Tag erleben sie alle so verschieden, weil alle in ihrer Wahrnehmung, in ihren Welten, ihrer Geschichte gefangen sind. Es ergeben sich Begegnungen, doch alle sind sie allein in einer von unterschiedlichsten Individuen belebten Welt. Das Ende ist ein Tod und die Sicht auf eine Zukunft. Es ist, was immer wieder geschieht nach den Proportionen des Lebens.
Hedi Wyss ist Schriftstellerin und zugleich seit 1966 eine vielseitig schaffende Journalistin. Zu ihren besten journalistischen Texten zählen ihre Kolumnen, die 2015 unter dem Titel Redefreiheit im ersten Band der Gesammelten Werke erschienen, sowie zahlreiche Reportagen, von denen in diesem zweiten Band eine Auswahl vorgestellt wird. Die Kolumnen schrieb sie in der Zeit zwischen 1988 und 2013, doch die ersten Reportagen verfasste sie bereits in den 60er Jahren. Die erste größere erschien erst 1975 im Badener Tagblatt. Regelmäßiges Verfassen von Reportagen erfolgte dann ab 1988 – im selben Jahr wie ihre ersten Kolumnen – hauptsächlich für die Neue Zürcher Zeitung. Die Fotos, die etliche Reportagen ergänzten, konnten leider nicht aufgenommen werden. Doch die Texte verdienen es, als gut geschriebene aufschlussreiche Zeitdokumente gelesen zu werden.
Ursula lebt mit ihren Kindern am Stadtrand und versucht, ihnen eine glückliche Welt zu schaffen. Doch je mehr sie sich um ihre Kinder kümmert, desto fremder wird ihr die Erwachsenenwelt. Die Bedürfnisse und Ängste von Müttern und Kindern werden einfühlsam dargestellt, während die Umwelt oft teilnahmslos bleibt.
Eine Frau um die vierzig sucht nach Orientierung und entwirft Bilder anderer Frauen, während sie nach Veränderung, Verwirklichung von Träumen und Glück strebt.
Hedi Wyss, Hansjörg Wyss' sister, tries to understand her brother through writing about him, but not writing a formal biography nor by systematically exploring the reasons for his success in business. What this book consists of, in the end, is a wide range of memories, anecdotes and interviews. In their totality they amount to an intricate portrait of a complex human being and exceptional businessman who over the years turned a small firm into one of the world's leading medtech companies.
Man rennt nicht, wenn man ein gesittetes Mädchen ist, man spricht nur leise und gemessen, und macht einen Knicks vor den Respektspersonen. Aber Alice möchte rennen, turnen und Sport treiben. Sie möchte wie als kleines Mädchen kopfunter an Stangen hängen, an denen man die Teppiche sauber klopft. Sie betrachtet mit Sehnsucht die Bilder von Männern und Frauen mit langen Stöcken in der Hand und hölzernen Brettern an den Füssen, die auf weiten Schneefeldern dahin sausen.
Elsa ist tot: Elsa, die ihrer kleinen Tochter Anna mitten auf der Straße einen Grabstein setzte, dort, wo sie von einem Laster angefahren worden war. Elsa, die unter freiem Himmel Bäume pflanzen wollte, als alle Bäume längst gestorben waren. Sie, die Kontakt hatte zu «denen in den Bergen», den Abtrünnigen ... Ihre Freundin, eine ältere Frau wie Elsa selbst, fährt zum Begräbnis. Im Gegensatz zu Elsa hat sie sich immer bemüht, «in der Mitte des Stroms zu bleiben, getragen von der Zustimmung der anderen», hat sich nicht gewehrt, als ihr Mann an Strahlenkrebs starb, als ihr Enkel auf die Welt kam und nicht sprechen wollte, als ihr Schwiegersohn spurlos verschwand. Zwei ungleiche Frauen – zwei ungleiche Reaktionen auf eine Welt, in der Vorkommnisse dieser Art nicht Einzelfälle, sondern die Regel sind. Es ist nicht unsere Welt; aber es ist eine Welt, die vielleicht schon bald die unsere sein könnte.