Die Geschichte der russischen Demokratie im 20. Jahrhundert wird eingehend untersucht, wobei zwei gescheiterte Versuche hervorgehoben werden: der erste im Jahr 1917 nach dem bolschewistischen Staatsstreich und der zweite, der 1991 begann. Während die Weimarer Republik nach 14 Jahren scheiterte, konnte auch die zweite russische Demokratie nicht bestehen, trotz der Bemühungen, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Die Ursachen und Entwicklungen dieser gescheiterten demokratischen Bestrebungen stehen im Mittelpunkt der Analyse.
Themen der Ausgabe sind: -Ideokratie oder Demokratie? Gesellschaftspolitische Diskurse im russischen Exil am Beispiel der Eurasierbewegung und der Novyj Grad -Gruppe -Zwischen Untergang und Neuordnung: Zum Bild einer postdemokratischen Gesellschaft bei Nikolaj Berdjaev -Simon L. Frank: Das Problem des christlichen Sozialismus -Katharina die Große (1762-1796 im Spiegel zeitgenössischer Publikationen im Alten Reich (Teil II) -Putins Ideengeber? Aleksandr Dugins Endkampfszenarien -Nationale Identitäten: Interview mit Boris Chasanow Aus dem Beitrag von Eva Daniela Seibel: Hatte die expansive Außenpolitik Katharinas II. die Entstehung einer wachsenden Russlandfurcht befördert, so wandelte sich der geistesgeschichtliche und politische Kontext ebenfalls zuungunsten der russischen Kaiserin. Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts trat die Diskrepanz zwischen Aufklärung und Absolutismus nun offen zu Tage. Humanität und Wohlfahrt auf der einen Seite, Prestige und Expansionen auf der anderen, waren zwei Zielrichtungen, die die aufgeklärte Herrschaft nicht gleichermaßen erfüllen konnte. Kein aufgeklärter Herrscher war letztendlich bereit, die eigene Machtposition zugunsten einer konstitutionellen Regierungsform abzubauen. Darin unterschied sich Katharina II. auch nicht von ihren Amtskollegen Joseph II. und Friedrich dem Großen. Im Konfliktfall machte die Kaiserin deutlich, dass sie keinerlei aufgeklärte Kritik an der zarischen Autokratie zuließ (Donnert E. Katharina II .). Beredte Beispiele waren davon die Schließung der Freimaurerlogen sowie die Verbannung Aleksandr Radi evs, der 1790 einen Reisebericht publiziert hatte, in dem er die Leibeigenschaft scharf anprangerte. Zwar gelang es der aufgeklärten Herrschaft durchaus, Mängel im sozialen Bereich, in Bildung sowie Rechtssprechung zu beheben oder abzumildern, doch zeigte sich die radikalisierende Spätaufklärung in Europa zunehmend enttäuscht, denn [m]onarchisch-staatliche Autorität, ständische Sozialordnung, äußere und innere Staatsräson verwiesen die Realisierung aufklärerischer Prinzipien auf einen ziemlich engen Bereich. (Mieck I: Europäische Geschichte der Frühen Neuzeit ). Vor diesem Hintergrund veränderte sich die öffentliche Wahrnehmung Katharinas II., die zunehmend von Desillusion und Unzufriedenheit geprägt war. Jetzt reinlesen: Inhaltsverzeichnis(pdf)
Die petrinische Umwälzung zu Beginn des 18. Jahrhunderts markiert Russlands ersten Schritt in Richtung Westernisierung, was zu einem tiefgreifenden Paradigmenwechsel führte. Peters des Großen Bestrebungen, Russland an europäische Normen anzupassen, kollidierten mit dem tief verwurzelten Glauben an die Auserwähltheit der Nation. Dieses Spannungsverhältnis zwischen verschiedenen Wertehierarchien prägte die Entwicklung Russlands bis in die Gegenwart. Das Buch untersucht zudem, wie die Reformversuche im Westen wahrgenommen wurden und welche Auswirkungen sie auf die russische Identität hatten.
The 20th century began with a deep identity crisis of European parliamentarianism, pluralism, rationalism, individualism, and liberalism―and a following political revolt against the West’s emerging open societies and their ideational foundation. In its radicalism, this upheaval against Western values had far-reaching consequences across the world, the repercussions of which can still be felt today. Germany and Russia formed the center of this insurrection against those ideas and approaches usually associated with the West. Leonid Luks’ essays deal with the various causes and results of these Russian and German anti-Western revolts for 20th-century Europe. The book also touches upon the development of the peculiar post-Soviet Russian regime that, after the collapse of the USSR, emerged on the ruins of the Bolshevik state that had been established in 1917. What were the determinants of the erosion of the “second” Russian democracy that was briefly established, after the disempowerment of the CPSU in August 1991, until the rise of Vladimir Putin? Further foci of this wide-ranging study include the specific ‘geopolitical trap’ in which Poland—constrained by its two powerful neighbors—was caught for centuries. Finally, Luks explores the special relationship that all three countries of Central and Eastern Europe’s ‘fateful triangle’ had with Judaism and the Jews.
Die Entwicklung Russlands und Deutschlands im Verlauf des 20. Jahrhunderts weist – ungeachtet höchst unterschiedlicher sozialer, wirtschaftlicher und politischer Strukturen der beiden Länder – erstaunliche Parallelen auf. Sowohl in Russland als auch in Deutschland wurden während bzw. kurz nach der Beendigung des Ersten Weltkrieges zum ersten Mal in der jeweiligen Geschichte demokratische Herrschaftsordnungen errichtet, die an ihrer inneren Insuffizienz scheiterten und durch totalitäre Regime, wenn auch völlig unterschiedlicher Prägung, abgelöst wurden. In beiden Ländern erhielten die Demokraten nach dem Zusammenbruch bzw. nach der Erosion der jeweiligen totalitären Diktatur eine zweite Chance. Indes ähnelte die im August 1991 errichtete „zweite“ russische Demokratie keineswegs der „zweiten“ deutschen – der Bundesrepublik –, sondern wies erstaunliche strukturelle Ähnlichkeiten mit dem gescheiterten Weimarer Staat auf. Die Analyse all dieser Parallelen und Kontraste stellt den Gegenstand dieses Buches dar.