Der Fehltritt
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In diesem Bande werden zum Abschluss einer Trilogie, welche im ersten Bande Fragen um Institution und Individuum und im zweiten dann Aspekte von Kommunikation und Medialität aufgenommen hatte, jene Aufsätze aus der Feder Peter von Moos' vorgelegt, die unter den Stichworten „Öffentliches“, „Privates“, „Gemeinsames“ und „Eigenes“ fundamentale Grenzsetzungen in der Kultur des Mittelalters aufzeigen wollen. Man liest in diesem Buch über ein Mittelalter tiefliegender Gegensätze, welche die überwölbende Ordnung fortwährend zu suchen und nachzuweisen zwangen. Die vorgelegten Beiträge enthüllen Schnittlinien, welche die Fruchtbarkeit der mittelalterlichen Kultur aus der Wirkungskraft ebenso des Paradoxon, des in sich Widersprüchlichen, wie des Endoxon, der widerspruchsfreien „angesehenen Meinung“, erklären lassen.
Dieses Begriffspaar illustriert die forschungspraktische Herausforderung, eine historisch adäquate und international verständliche Beschreibungssprache für Phänomene zu entwickeln, die sich nicht ausschließlich mit gegenwärtigen Begriffen erfassen lassen. Missverständnisse sind unvermeidlich, wenn eine grundlegende Sprachdifferenz nicht erkannt wird: Die lateinischen Begriffe publicus / privatus unterscheiden sich im romanischen Raum vom deutschen Äquivalent, da sie nicht primär die Offenkundigkeit des Öffentlichen und die Intimität des Privaten betonen, sondern Universalität und Partikularität, das Ganze und das Einzelne. Hierbei steht eine mediale Wahrnehmungskategorie einer politisch-sozialen Funktionskategorie gegenüber. Die im frühen 19. Jahrhundert entstandene Bedeutungserweiterung zum Kollektivbegriff "Öffentlichkeit" und die Diskussionen um dessen Realitätsgehalt prägen den Sonderweg der deutschen Wissenschaftssprache. Ein Vergleich zwischen dem aufklärerischen Öffentlichkeitsbegriff und dem alteuropäischen Gemeinsamkeitsbegriff res publica soll ein Gleichgewicht zwischen diesen Traditionen herstellen und der Angst vor terminologischen Anachronismen entgegenwirken. Es wäre unnötig, das weit verbreitete Begriffspaar publicus / privatus in vormodernen Kontexten zu meiden, nur weil moderne Übersetzungen zu falschen Assoziationen mit dem Öffentlichkeitsbegriff der letzten zweihundert Jahre führen könnten.
Persönliche Identität und Identifikation in der vormodernen Gesellschaft
In der historischen Forschungsdiskussion um das Individuum ist ein Aspekt bislang wenig beachtet worden: Wie wird menschliche Singularität erkannt und wiedererkannt? In diesem Band gehen Historiker, Literaturwissenschaftler und Soziologen der Frage nach Identifikation und Identität an Beispielen aus Theorie und Praxis vormoderner Gesellschaften nach. Betrachtet werden kulturell variable Mittel und Zeichen, mit denen Personen identifiziert werden (Körpermerkmale, Kleider, Eigennamen, Siegel, Ausweise usw.) sowie deren Verlust und Fälschung. Andererseits hinterfragen die Beiträge auch die Symbolisierung von Identität, mit der die Umwelt von einer bestimmten Rolle (u. a. Autor, Führer, Held, Charismatiker) überzeugt werden soll, sowie deren Umkehrung in Tarnung, Inkognito, Verstellung des Selbst. Die Beiträge sind von Aleida Assmann, Brigitte Bedos-Rezak, Giles Constable, Valentin Groebner, Alois Hahn, Christian Kiening, Renate Lachmann, Thomas Lückmann, Christel Meier, Peter von Moos, Jan-Dirk Müller, Morgan Powell, Adriano Prosperi, Werner Röcke, Jean-Claude Schmitt und Horst Wenzel.