Von den Tagen des Ersten Weltkriegs über die Wirren des Bürgerkriegs bis in die Zeit der beginnenden "Sowjetisierung" spannt sich der zeitliche Bogen von Dobycins Skizzenroman. Er verfolgt den Prozeß einer schleichenden Verödung und Versteppung, die allmähliche Selbstauflösung einer Familie, einer Gesellschaft, in Elend und Gleichgültigkeit. Surka, der "Held" der Geschichte, treibt davon in die Verwahrlosung, in die äußere und innere. Er will Räuber werden. Ist doch klar, da doch so viele Verbrecher werden in den Jahren, als ganz Europa unter die Räuber viel.
Leonid I. Dobyc in Libri
Leonid Dobychin fu uno scrittore di prosa russo la cui opera fu caratterizzata da un lirico "anti-psicologismo" e da una dedizione alla semplicità e allo stile laconico. Nei suoi racconti e romanzi, catturò lo scontro tra il vecchio mondo e la nuova realtà sovietica, spesso con una distanza ironica. Il suo approccio sperimentale e la sua attenzione all'"uomo comune" lo distinsero dalle correnti letterarie contemporanee, portando a incomprensioni. Oggi è riconosciuto come un maestro della narrazione concisa che, attraverso la sua brevità, ritrasse abilmente complesse situazioni ed emozioni umane.



1987 wurde Joseph Brodsky, frisch gekürter Nobelpreisträger für Literatur, von Studenten gefragt, welchen russischen Prosaschriftsteller er im XX. Jahrhundert für den bedeutendsten halte. Brodsky zögerte mit einer Antwort, und als ihm Namen wie Babel, Bulgakov und Platonov zugeraunt wurden, sagte er schnell und bestimmt: »Dobyčin. Leonid Dobyčin«, einen Autor, der selbst in Rußland den wenigsten bekannt war. An ihm – er lebte 1894 bis 1936 – bestachen Brodsky die »Gogolsche Kraft«, »das geschärfte Gefühl für die Semantik«, die »Proustsche Aufmerksamkeit für das Detail (das in seiner Bedeutung die Hauptsache überwuchere)« und eine »starke Joycesche Note«, bezogen wohl vor allem auf The Dubliners. Alle diese Eigenheiten erkannte Brodsky an Dobyčins Roman Die Stadt N. (1935): »Leben in der Provinz. Alles geschieht wie immer in der russischen Provinz, genauer: nichts geschieht. Geschehen war, übrigens, die Revolution.« Die hier vorgelegten kurzen Erzählungen Dobyčin – sie erschienen zwischen 1924 und 1930 verstreut in literarischen Zeitschriften und Almanachen Leningrads – bilden so etwas wie das Manifest des erzählerischen Stils dieses Autors, der sich im übrigen theoretisch nie geäußert hat, es sei denn in aphoristischen Bemerkungen in Briefen. Dobyčins Erzählstil ist geprägt von Puskins Diktum über die künstlerische Prosa »Genauigkeit und Kürze« wie von Anton Čechovs Forderung nach »äußerster Kürze«. Diese Forderung wird von Dobyčins Erzählungen nochmals radikal reduziert auf ein Minimum des Möglichen und Allernötigsten. Die Rolle des Erzählers entfällt bzw. wird übernommen von einer imaginären, absolut objektiven Filmkamera, deren Aufnahmen eben jener »treffenden Details« mit der modernen Schnittechnik der Montage neu zusammenfügt: russische Provinz, hier die westrussische Kleinstadt Brjansk in den Jahren nach der Revolution: »Alles geschieht wie immer in der russischen Provinz, genauer: nichts geschieht.« Nur daß dieses »Nichts« in Wirklichkeit ungeheuer viel – bei Dobyčin Konzentration und Dichte erlangt, wie sie erzählerische Prosa im Russischen nie wieder erreicht hat: Dobyčin rückt die Gattung der Prosaminiatur an die Grenze zum epischen, bisweilen sogar lyrischen Gedicht.