Pontius Pilatus ist eine der zwiespältigsten Figuren der christlichen Heilsgeschichte: Nach biblischer Darstellung verurteilte er Jesus zur Kreuzigung, obwohl er dessen Unschuld erkannte. Die Studie analysiert die theologischen Aussagen über Pilatus in Bibelexegese und Lehrdichtung. Sie verfolgt ferner Rezeption und Weiterbildung apokrypher Überlieferungen in der Legenden- und Geschichtsepik. Die Auswertung lateinischer Summen und Kompendien läßt Traditionsgebundenheit und Eigenständigkeit der untersuchten volkssprachlichen Werke gegenüber der kirchlichen Lehre erkennen. Deutlich wird die extreme Bandbreite der Auffassungen: Der Gottesfeind der Legende konnte zugleich Wahrheitszeuge christlicher Verkündigung sein. Textnahe Interpretationen arbeiten die paradigmatische Bedeutung dieser biblischen Gestalt für Frömmigkeit und Spiritualität, aber auch für das Verständnis von Herrschaft und Geschichte in Mittelalter und früher Neuzeit heraus.
Andreas Scheidgen Libri
