Geboren in Reinbek bei Hamburg, in Frankreich in einem Internat erzogen und vor der Deportation durch die Nationalsozialisten gerettet – diese Überlebensgeschichte und die deutsche und die französische Sprache haben Georges-Arthur Goldschmidt gleichermaßen geprägt. Im Juni 1995 hat er im Literaturhaus in Hamburg an vier Abenden aus seiner ganz eigenen Sicht über das Schreiben und dessen Verbindung zu Sprache, Leben, Malen und Übersetzen gesprochen. Anlässlich der Übergabe seiner deutschsprachigen Manuskripte und Briefe erscheinen diese Vorträge – durchgesehen vom Autor – nun erstmals im Druck.
Georges Arthur Goldsmidt Libri






Ein zehnjähriger Hamburger Junge jüdischer Herkunft wird in die französischen Alpen verschickt, um dort die Nazi-Zeit zu überstehen. Als gegen Kriegsende deutsche Besatzungssoldaten auf dem Rück-zug auch abgelegene Täler durchkämmen, um Résistance-Leute und versteckte Juden aufzuspüren, überlebt der Junge dank der Hilfe zweier Bergbauernfamilien. Sensibel und scherenschnittgenau schildert Goldschmidt die Ängste eines Pubertierenden in Lebensgefahr.
Schreiben bedeutet für Georges-Arthur Goldschmidt Überleben. Im Schreiben und Übersetzen entwirft er sich selbst, er wird zum Zeugen seines Ichs, das unter den Nationalsozialisten nicht sein durfte, aber schon immer einen großen Drang verspürt, etwas zu erschaffen und die Welt, Literatur, Malerei begeistert in sich aufzunehmen. In »Die Hügel von Belleville« spricht Goldschmidt, der als 10-Jähriger vor den Nationalsozialisten nach Frankreich floh, erstmalig darüber, was es bedeutete, 1953 als französischer Soldat in der Kaserne von Karlsruhe den Wehrdienst zu leisten. Eine Zeit der Unruhe, in der er über das Sprechen in zwei Sprachen zu sich selbst fand.
Die Befreiung
- 204pagine
- 8 ore di lettura
Megève in Hochsavoyen, im September 1944, Frankreich ist befreit, da taucht der uns aus den erschütternden Werken Die Absonderung und Die Aussetzung bekannte Bettnässer – Arthur Kellerlicht – aus seinem Bauernversteck wieder auf und kehrt ins Internat zurück. Er ist kein Kind mehr, gehört von nun an zu 'den Großen' und ist doch noch nicht erwachsen. Das Wunder des Lebens nimmt von ihm vollauf Besitz, aber er schämt sich auch, verspätet das Verbotene, die allgegenwärtige und rätselhafte Geschlechtlichkeit zu entdecken. Die Lust am Spiel mit sich und die Strafe gehen miteinander einher, genauso wie in kaum kontrollierbaren Schüben immer auch Heimweh und Verzweiflung aufkommen. Zugleich hat er endlich Zeit für die Landschaft und für das Sehen und Merken. Stets ist der verwirrte Zögling sein eigener Beobachter bei jenem ernsten Spiel, in dem schamvolle Sexualität und ihre Bestrafung als Ventil für eine nicht wieder gutzumachende Schuld fungieren – die Schuld, überlebt zu haben. Die Befreiung ist ein Sprachzeugnis von ungeheurer Offenheit. Ungeschönt betrachtet und entäußert sich ein unvergleichlicher körperlicher-seelischer Zustand, der seine Wurzeln vor allem in den Läufen unserer Geschichte hat.
Mit radikaler Offenheit schildert Georges-Arthur Goldschmidt seine Flucht vor den Nationalsozialisten in ein Internat in den savoyischen Alpen. Aus einem großbürgerlichen Dasein in äußere und innere Not gestoßen, erfährt der Heranwachsende schmerzlich, was es bedeutet, als Jude geboren zu sein. »Zu entdecken ist kein ›neuer‹ Goldschmidt, sondern ein vollendeter.« Ina Hartwig, Frankfurter Rundschau
Als Freud das Meer sah
Freud und die deutsche Sprache
Ein wunderbares Buch über die Sprache, die wie der Blutkreislauf unsere Existenz durchzieht. Goldschmidt, der gebildetste und feurigste Vermittler zwischen Frankreich und Deutschland, schreibt auf erstaunliche Weise über das Leben in zwei Sprachen und das Übersetzen. Leidenschaftlich und spannend öffnet er die Bedeutungsräume zwischen den beiden Sprachen, in dem Wissen, dass sich hinter dem Gesagten ungeahnte Kostbarkeiten verbergen. »Ein verblüffendes Buch über die Sprache« Peter von Matt
Georges-Arthur Goldschmidt wurde 1938 als Zehnjähriger in Hamburg von seinen jüdischen Eltern in den Zug nach Florenz gesetzt. Von dort gelangt er in ein französisches Kinderheim in den Savoyer Alpen. Das Leben dort, den Kampf gegen das Heimweh, die zahlreichen Prügelstrafen und die heimliche Lust daran, die ständige Bedrohung durch die deutschen Besatzer beschreibt Goldschmidt in seiner Erzählung ›Die Absonderung‹. Im Vorwort von Peter Handke heißt es dazu: »Goldschmidt hat so etwas wie ein Traumbuch geschrieben: in dem Sinn, daß er für Situationen und Ereignisse, für die es bis dahin noch keine Sprache gab, wie somnambul, planlos, vorsatzlos, dafür um so klarer und unmittelbarer eine solche - nicht findet, sondern einfach hinsetzt. Ja, vergleichbare Bücher schreibt manchmal ein Träumer - nur ist hier beim Erwachen das Buch da, vorhanden, zur Hand: eher als ein ›Traumbuch‹ vielleicht also das Zeugnis eines so ausgedehnten wie beengten Traumwandelns, eines jahrelangen, voll des Schreckens und des Staunens, der Raum- und Zeitsprünge, der fahlen Labyrinthwelt des ewigen Kriegs und der weiträumigen Farbenwinkel eines episodischen Friedens. Traumbuch; Zeugnis eines Traumwandelns; oder: das Buch als Findling.«
Der versperrte Weg
Roman des Bruders
Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2021. Verbunden durch das gemeinsame Schicksal von Bedrohung, Flucht und Heimatlosigkeit hat Erich Goldschmidt einen ganz anderen Lebensweg wählen müssen als sein jüngerer Bruder. Während Georges-Arthur als international gefeierter Autor zwischen den Sprachen und mit den Worten lebt, hatte Erich sich für ein Leben an der Waffe entschieden. Er schloss sich der Résistance an, kämpfte mit bei der Befreiung von Paris und des Elsass und war schließlich Major in der französischen Kolonialarmee in Algerien. Dort beteiligte er sich sogar an dem Offiziersputsch gegen Charles de Gaulle, der Algerien in die Unabhängigkeit entließ, und blieb dennoch bis zu seiner Pensionierung Offizier. Danach arbeitete er noch viele Jahre als unauffälliger Mitarbeiter der Crédit Agricole. Über Jahrzehnte zurückgehalten, war ein Geburtstagsbrief der Anlass für Georges-Arthur Goldschmidt, die verschütteten Erinnerungen an das Leben des Bruders ans Licht zu holen.
Der Ausweg
Eine Erzählung
Georges-Arthur Goldschmidt über die Sehnsucht nach Bestrafung und die Scham, überlebt zu haben Für den zehnjährigen Georges-Arthur ist es der Albtraum, entdeckt und deportiert zu werden. Der Albtraum endet aber nicht. Denn der Junge schämt sich, überlebt zu haben, deshalb sehnt er sich nach Strafe. Die bekommt er im Internat, das ihn nach der Flucht aus Nazideutschland aufgenommen hat. Aber auch die Scham endet nicht, denn er empfindet Wollust bei der körperlichen Züchtigung. Das ist das unlösbare Dilemma des Georges-Arthur Goldschmidt, und das ist die nicht versiegende Quelle für sein literarisches Schaffen.


