Die Sachen der Aufklärung
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Masochismus gilt als sexuelle Perversion, in der Lust an Leid gebunden wird. In diesem Heft soll der Anwendungsbereich des Begriffs erheblich erweitert werden. Denn Leid kann auch entstehen, wenn Menschen sich an kulturellen Leitbildern orientieren, um vor sich selbst oder anderen ethisch gut oder wenigstens besser zu erscheinen, als sie eigentlich sind. Von der Antike bis zur Gegenwart bewahren Bilder, Szenen und Narrative das imaginäre Wissen vom ‚guten Menschen‘, dem zu entsprechen kein Leid gescheut werden soll. Nicht nur für die Lehre der Perversionen, sondern auch für Anthropologie, Psychologie, Ethik, Politik, Pädagogik sowie Gender- und Queer-Studies stellt der Masochismus ein zentrales kulturtheoretisches Integral dar.
Ambiguität wird als zentrale analytische Kategorie betrachtet, insbesondere wenn das Interesse an kulturellen Zeichen- und Deutungssystemen von Skepsis gegenüber geistesgeschichtlichen Synthesen geprägt ist. Der vorliegende Band widmet sich der Verbindung von konzeptueller Unschärfe und analytischer Produktivität. Die Beiträge beleuchten das Phänomen der strukturalen Ambiguität, die antagonistisch-gleichzeitige Zweiwertigkeit in verschiedenen Systemen und literarischer Selbstreflexivität erzeugt. Themen umfassen die Ambiguität der Rhetorik, Modifikationen der Eindeutigkeit, die Fetischisierung semiotischer und narrativer Strukturen sowie die ambivalente Natur klassischer Werke. Weitere Diskussionen behandeln Goethes Poetik, Kleists fraktale Amphibolie und die Verdopplung bei Georg Büchner. Auch die ästhetische und politische Ambiguität in Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig“ sowie Brechts und Eislers Maßnahmen werden thematisiert. Der Band bietet eine umfassende Analyse von Ambiguität in verschiedenen literarischen und kulturellen Kontexten und beleuchtet deren komplexe Funktionen und Formen.
Studien zur Topik der Erinnerung in der erzählenden Literatur zwischen 1800 und 1900 (Moritz - Keller - Raabe)
»Ich erinnere mich«: Dieses Paradigma des Erzählens spielt eine zentrale Rolle in der Literatur des späten 18. und 19. Jahrhunderts. Die relevanten Texte werden seit jeher, unter verschiedenen theoretischen Ansätzen, auf die hermeneutische Frage der poetischen Konstitution und Konstruktion des Subjekts hin untersucht. Die tieferen Fundamente des narrativen Arrangements »Anamnesis« werden jedoch erst deutlich, wenn die Doppelung von erzähltem und erzählendem Ich als Teil der literarischen Erinnerungsarbeit verstanden wird. Diese Arbeit erfordert ein Bildarchiv, das Pathosformeln aus mythologischen und christologischen Initiationserzählungen sowie Ikonographien von Christus, Maria, Heiligen und Venus umfasst. Unter Rückgriff auf topisch strukturierte Modelle kultureller Wissensorganisation dienen die kleinen Szenen und Episoden in Werken wie Moritz' »Anton Reiser«, Kellers »Grünem Heinrich« und Raabes »Akten des Vogelsangs« dem Entwurf weitreichender Gedenkräume. Die rhetorische Tradition der Memoria erweist sich in diesen Texten als übermächtig und bildet die Grundlage für eigenständige ästhetische Figurationen. Die Analyse des Zusammenspiels von Hermeneutik und Rhetorik, individueller Erinnerung und kollektivem Gedächtnis zeigt, dass die bisherigen Prämissen des Konzepts einer »modernen« Erinnerung einer Revision bedürfen.
Der Begriff des Symbols steht seit dem 18. Jahrhundert im Zentrum von Ästhetik und Poetik. In der gegenwärtigen Theoriediskussion bildet er einen wichtigen Schnittpunkt von Text-, Bild- und Kulturwissenschaften. Darüber hinaus sind Symbole als sinnliche Zeichen für die kulturelle Aktivität des Menschen in modernen Gesellschaften allgegenwärtig. Unter den vier Schlagworten »Seele«, »Sinn«, »Körper« und »Kultur« versammelt der Band klassische Texte zum Thema Symbol von der Antike bis zur Gegenwart, von Platon bis Kant, von Goethe bis Eco. Jeder der vier Teile ist mit einer systematischen Einführung der Herausgeber versehen. So bietet der Band eine Sammlung von Basistexten, die sich vorzüglich als Studienbuch zum Thema Symbol eignet.
Zum Zusammenhang von Ethik und Ästhetik im Zeitalter der Aufklärung
Johann Jacob Bodmer entwirft eine lebensweltlich verankerte Ästhetik. Er begründet sie in ethischen Praktiken, die er im Alltag beobachtet und reflektiert.0Eine lebensweltlich verankerte Ästhetik dies ist das groß angelegte Projekt, das Johann Jacob Bodmer in seinen ästhetischen Schriften verfolgt. Dabei leitet er ästhetische Theorien aus ethischen Praktiken ab, die er in allen Bereichen des Alltags beobachtet und reflektiert: Praktiken des Essens, der Körperpflege und der Gestaltung des Umfelds, Praktiken der Bildung, des Lesens, der Literatur- und Kunstkritik, der Gelehrsamkeit und des Glaubens, Praktiken des Einbildens, des Staunens und des Empfindens. Dadurch stellt er die Theorie der unteren Erkenntnisvermögen, die am Anfang des 18. Jahrhunderts auf die Diskursivitätsbegründung der modernen Ästhetik in der Jahrhundertmitte wartet, vom philosophischen Kopf auf die pragmatischen Füße. Die Beiträge loten das Potenzial dieses Zusammenhangs von Ethik und Ästhetik aus und liefern damit eine neue Bewertung der so genannten Heteronomieästhetik. Das methodische Fundament für dieses Unterfangen bildet die soziologische Praxeologie, die dabei hilft, Bodmers Diskurspraktik zu profilieren, in der ethische und ästhetische Begriffe stets in wechselseitiger Abhängigkeit aufeinander bezogen werden
It has become commonplace to associate art and aesthetic experience with the category of ambiguity. Indeed, when we talk about art, we cannot do without the dynamic force of ambiguity just as the aesthetic itself cannot do without it. The great efforts to disambiguate aesthetic practices and their associated theories and contexts would eliminate art’s unique ability to reshape our knowledge of the world, our sensory encounters with it, and our moral or political positions in it. The essays collected in this volume present different perspectives on this central category and develop interdisciplinary connections. Contributors include Frauke Berndt, Joy H. Calico, Stephan Kammer, Lutz Koepnick, Verena Krieger, Richard Langston, Rachel Mader, Lily Tonger-Erk, Gabriel Trop, and Thomas Wortmann.
Unter dem Generalthema „Erzählte und erzählende Aufklärung“ behandelt der Band historische Erzählstrategien, philosophische Narration, wissenschaftliche und religiöse Erzählungen in der Aufklärungszeit, beschäftigt sich mit Überlieferung, Perspektiven und Medien des Erzählens sowie mit Theorien und Modellen utopischer Narration. Fünf Hauptbeiträge von Michel Delon, Robert E. Norton, Elisabeth Décultot, Franz M. Eybl und Fritz Breithaupt sowie eine Einführung der Herausgeber Frauke Berndt und Daniel Fulda leiten den Band ein. Er enthält die Hauptvorträge und Sektionsbeiträge der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts 2015 in Halle a. d. Saale.